Chef? Nein danke. Warum junge Schweizer Talente Führungsverantwortung ablehnen
Ein Generationenwandel trifft die Führungsetagen der Schweizer Wirtschaft – und stellt KMU vor eine strategische Frage: Wenn immer weniger BerufseinsteigerInnen führen wollen, wer führt dann morgen?
In der Schweizer Wirtschaft sind Führungsrollen historisch klar besetzt: Wer Leistung bringt, übernimmt Verantwortung. Wer aufsteigt, führt. Doch dieses Modell kommt ins Rutschen. Junge Berufsleute, insbesondere aus der Generation Z, streben zwar nach Entwicklung – aber immer seltener nach klassischer Führungsverantwortung. Die Gründe dafür sind vielschichtig – und sie sind kein vorübergehendes Phänomen, sondern Ausdruck eines strukturellen Wandels.
Die Führungskrise ist keine Führungsschwäche
Eine wachsende Zahl von Schweizer Studien belegt, was viele Unternehmen bereits aus Erfahrung wissen: Der Chefposten verliert an Attraktivität. Eine Untersuchung von Robert Walters zeigt, dass rund 30 % der jungen Berufsleute in der Schweiz Führungsrollen bewusst ablehnen – nicht aus Desinteresse, sondern aus Überzeugung.
Auch die Deloitte-Studie zur Generation Z und den Millennials kommt zum Schluss: Selbstverwirklichung, mentale Gesundheit und Sinnorientierung stehen heute höher im Kurs als Status oder Titel. Führungspositionen hingegen werden häufig mit dauerhafter Erreichbarkeit, wachsendem Druck und einem unscharfen Rollenverständnis assoziiert. Was früher als Aufstieg galt, wirkt heute wie eine Überforderung – bei fraglichem Mehrwert.
Was sich verändert hat
Führung in der heutigen Arbeitswelt ist komplexer geworden:
- Die Anforderungen sind gestiegen – wirtschaftlich, technologisch und sozial.
- Führung geschieht zunehmend unter Unsicherheit, in hybriden Teams und ohne formale Autorität.
Gleichzeitig ist der Statusgewinn geschrumpft. Titel sind entwertet, Lohnunterschiede oft gering, und gesellschaftlicher Respekt ist keine Selbstverständlichkeit mehr.
Zudem hat sich das Verhältnis zur Arbeit grundsätzlich verändert. Für viele junge Fachkräfte ist ein erfülltes Privatleben kein nachgelagertes Ziel, sondern gleichrangig mit dem Beruf. Die Aussicht, diese Balance durch eine Führungsrolle zu verlieren, wirkt eher abschreckend als motivierend.
Ein systemisches Problem – besonders für KMU
Was in Konzernen durch strukturierte Nachwuchsprogramme und Entwicklungspfade teilweise abgefedert wird, trifft kleine und mittlere Unternehmen (KMU) umso stärker. Die Nachfolgesicherung in den Führungsebenen wird schwieriger, weil die Eintrittswahrscheinlichkeit in klassische Führungsbahnen sinkt – während gleichzeitig die Generation der Babyboomer schrittweise in den Ruhestand tritt.
KMU stehen damit nicht nur vor einer personellen, sondern vor einer kulturellen Herausforderung: Wenn die Rolle der Führungskraft nicht mehr attraktiv erscheint, muss sie hinterfragt und neu gestaltet werden – nicht kosmetisch, sondern funktional.
Was KMU jetzt tun können – sieben realistische Ansätze
- Verantwortung auf Zeit statt für immer
Projektbezogene Führungsrollen ermöglichen es, Verantwortung zu testen – ohne langfristige Bindung. Co-Leadership-Modelle oder temporäre Teamleitungen sind in KMU mit flachen Hierarchien meist gut umsetzbar. - Führung als Entwicklungspfad, nicht als Ziel
Führung muss nicht an einen Titel geknüpft sein. Rotationsprogramme, Mentoring und Peer-Coaching können jungen Mitarbeitenden Führungsaufgaben näherbringen – als Lernschritt, nicht als Statusmerkmal. - Reduktion administrativer Last
Führung darf nicht in operativen Tätigkeiten versinken. Klare Prozesse, moderne Tools und Entlastung in der Administration schaffen Raum für eigentliche Führungsaufgaben – besonders wichtig in kleinen Betrieben. - Flexible Führungsmodelle ermöglichen
Wer flexible Arbeit lebt, muss sie auch in Führung ermöglichen. Teilzeitführung, Homeoffice und Jobsharing sind bei entsprechender Struktur auch in KMU realisierbar. - Führung sichtbar machen – in ihrer Wirkung, nicht im Titel
Junge Berufstätige wollen verstehen, wie ihre Arbeit zum Unternehmenserfolg beiträgt. Das gilt auch für Führung. Ihre Wirkung sollte erlebbar sein – durch Feedbackkultur, transparente Entscheidungen und nachvollziehbare Beiträge. - Frühzeitige Vorbereitung auf Führungsverantwortung
Soft Skills wie Konfliktfähigkeit, Feedback geben oder Entscheidungsstärke können und sollten früh trainiert werden – auch ohne formale Führungsfunktion. So entsteht Zutrauen in die eigene Führungsfähigkeit. - Alternative Laufbahnen institutionalisieren
Nicht alle wollen führen. Wer Fachkarrieren gleichwertig fördert, verhindert Demotivation – und behält wertvolle Expertise im Unternehmen.
Fazit: Führung muss aus Überzeugung gewählt sein – nicht übergestülpt
Die Führungskrise junger Berufsleute ist kein Ausdruck mangelnder Leistungsbereitschaft, sondern ein Hinweis darauf, dass sich Erwartungen, Werte und Arbeitsrealitäten verschoben haben. Wer heute Führungsverantwortung ablehnt, tut das oft bewusst – nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Abwägung.
Für KMU ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Führung neu zu definieren – als Aufgabe mit Sinn, als Rolle mit Unterstützung und als Möglichkeit zur Entwicklung. Nicht jeder muss führen. Aber alle sollten wollen dürfen.
Denn nur, wenn Verantwortung wieder freiwillig übernommen wird, wird sie auch wirksam getragen.
Autorin: Judith von Rotz, CEO ZfU
Anmerkung: Dieser Beitrag basiert auf aktuellen Studien, Interviews mit Schweizer Unternehmen sowie Analysen des Arbeitsmarkts und HR-Trends in der Schweiz sowie diversen Fachartikeln